Blick in die Zelle
Baden-Württemberg Stiftung / Jahrbuch 2010
Ein erfolgreiches internationales Netzwerk hat Jörg Wrachtrup, Professor für Physik an der Universität Stuttgart, gesponnen. Jeder kennt die faszinierenden Bilder aus dem menschlichen Körper, manche sogar aus ihrem eigenen: Magnetresonanztomographen, auch Kernspintomographen genannt, machen feinste Details von Organen sichtbar, im ungünstigen Fall auch von Tumoren und anderen krankhaften Veränderungen. Nicht minder faszinierend sind die Bilder aus Rastersondenmikroskopen, die sogar einzelne Atome zeigen. Beide Verfahren haben physikalisch nichts miteinander zu tun – bis jetzt. Denn Jörg Wrachtrup möchte die beiden bildgebenden Techniken kombinieren und damit die Struktur lebender Zellen untersuchen.
So sieht das Konzept der Stuttgarter aus: Man nehme ein Rasterkraftmikroskop mit einer schwingenden Nadel aus Diamant, die so spitz ist, dass an ihrem Ende ein einzelnes Atom sitzt – das ist heute Standard in den Physiklabors. Neu ist, dass in die Spitze gezielt Defekte eingebaut werden, die zu einem veränderten magnetischen Verhalten führen. In diesem Fall sind es Stickstoffatome, die fein dosiert im Diamant sitzen. Der ultrawinzige Magnetsensor spürt damit paramagnetische Atomkerne in der Probe auf – im Prinzip wie ein Magnetresonanztomograph, nur auf atomarer Skala. Und wie ein Magnetresonanztomograph in der Klinik schaut das Mini-Messgerät in die Zellen hinein, bis in eine Tiefe von einigen Hundert Nanometern.
Dass das Konzept funktioniert, hat Wrachtrups Team bereits im Labor bestätigt. Dennoch ist noch viel Arbeit zu tun, insbesondere bei der Analyse der winzigen Schwingungen der Nadelspitze, die Auskunft über die magnetischen Eigenschaften der Probe geben. Dafür hat das Team Philipp Hemmer von der Texas A&M University nach Stuttgart geholt. Hemmer ist Experte für optische Sensoren und bringt genau die Expertise mit, die notwendig ist, um das Projekt zum Erfolg zu führen. „Die Unterstützung der Baden-Württemberg Stiftung kam gerade richtig, andernfalls wäre es wohl nicht möglich, dass unser Kollege zeitweise in Stuttgart arbeiten kann“, lobt Jörg Wrachtrup. Denn die üblichen Projekte etwa der Deutschen Forschungsgemeinschaft fördern nur die eigene Forschung der Arbeitsgruppe, nicht die von Gästen aus dem Ausland. Die Unterstützung stellt sicher, dass das Team seinen Vorsprung halten kann. Denn nach ersten Veröffentlichungen der Stuttgarter, die sowohl Messprinzip als auch die Geräte in Eigenregie entwickelt haben, sind nun auch andere Forschergruppen im In- und Ausland auf dieses neue Konzept aufmerksam geworden und versuchen, den Rückstand aufzuholen.
Wrachtrups Team hat mit dem revolutionären Messgerät viel vor: So sollen lebende Zellen quasi bei ihrer Arbeit beobachtet werden, etwa wenn Signalstoffe durch die Zellwand treten. Das könnte zum Beispiel wertvoll sein, um die Wirkung von Alzheimer-Medikamenten in Gehirnzellen zu verfolgen. Eine mögliche Erweiterung des Konzepts: Die magnetischen Defekte müssen nicht unbedingt in einer feinen Nadelspitze sitzen, sie können auch in eine ausgedehnte Oberfläche integriert werden, die gesamte Fläche ist dann der Sensor. Darauf kann man Gewebe wachsen lassen und ihm beim Wachstum zuschauen, etwa um zu ergründen, wie Zellen zu Krebszellen mutieren.